Erika Arlt, Niemals Vergessen, unveröffentliches Typoskript DIN
A4, Tröbitz 1989 - 2011, 140 S.
(Geschichte des Verlorenen Transports, Interviews mit
Zeitzeugen aus Tröbitz, Totenlisten, die ersten Ausarbeitungen zu
diesem Buch datieren vor 1980).
Die 1989, kurz vor der sogenannten ‚Wende‘ fertiggestellte
Dokumentation zur Geschichte des ‚Verlorenen Transports‘ trägt noch
ganz die Handschrift des sozialistischen Teils Deutschlands, der
DDR.
Nicht nur, weil die Ereignisse hier nicht ‚tragisch‘
genannt, sondern als ‚Folge der faschistischen Politik‘ dargestellt
werden, sondern vor allem, weil ‚Niemals Vergessen‘ die
Anstrengungen dokumentiert, die Erika und Richard Arlt unternommen
haben, den Antifaschismus an der Basis, im Volk zu verankern. Die
Beschäftigung mit der Geschichte des Verlorenen Transports war nie
Selbstzweck, sondern diente dazu, die Bevölkerung in der Region
aktiv einzubeziehen und durch die starke Beteiligung der ganz
normalen, nicht verbeamteten, nicht beim Staat angestellten Menschen
ein Ziel zu erreichen, das Erika Arlt in ihrem Buch so formuliert
(S.5):
„Das Gedenken ist nicht nur eine Erinnerung
an die schrecklichen Ereignisse und ein Gedenken der Toten, sondern
Mahnung und Verpflichtung, das Vermächtnis der Toten zu erfüllen:
Nie wieder zuzulassen, daß von deutschem Boden Schrecken,
Verfolgung, Krieg und Vernichtung ausgehen!“
Dem stellt sie gegenüber, was in der BRD nach 1945 geschah,
wie dort sogar Entscheidungsträger des Faschismus in den staatlichen
und politischen Organisationen wieder untergekommen waren und
verhinderten, dass aus der Vergangenheit Lehren gezogen wurden und
dabei waren, die Opposition auszuschalten, um einen neuen
Obrigkeitsstaat zu installieren.
Weil es für Erika Arlt
wichtig war, einen Antifaschismus des Volkes aufzubauen,
konzentrierte sie sich nicht auf Geschichtsbücher, sondern auf die
Aussagen von Zeitzeugen wie Herrn W. Gröger, Herrn K. Bardehle (zur
Ankunft des Zuges am 23.4.1945), die Erinnerungen Tröbitzer Bürger
(S.26 – 39) und die als humanitäre Hilfe vorgestellte Aufnahme der
Überlebenden in die Tröbitzer Wohnhäuser (S.36 -49). Stellt sie die
Gedenkstätten vor, geschieht dies nie, ohne die bei ihrer
Einrichtung beteiligten Bürger namentlich zu erwähnen – sie vergisst
auch nicht die Namen derer, die sich bei der Pflege der todkranken
Überlebenden aus dem Zug engagiert haben.
‚Niemals Vergessen‘ ist keine Abrechnung mit den Tröbitzern,
nicht einmal ein moralischer Vorwurf, das Buch will den Bürgen der
Region zeigen, was sie – ohne es vielleicht genau zu wissen –
geleistet haben. Es ist ganz der Zukunft zugewandt, obwohl es
überwiegend Ereignisse aus der Vergangenheit berichtet. Deshalb
betont die Autorin Freundschaften zwischen jüdischen Überlebenden
und jenen Tröbitzern, in deren Häusern sie gepflegt und versorgt
wurden. Aus dem gleichen Grund hebt sie die Veranstaltungen
regionaler Organisationen an der VVN Gedenkstätte hervor und
dokumentiert die Reden von bedeutenden Persönlichkeiten, die zu den
Gedenktagen nach Tröbitz gekommen waren, so als wollte sie sagen:
Seht, ohne Euch und Euer Engagement wären diese Leute nicht
gekommen!
Vor diesem Hintergrund wird dem Leser die Geschichte des
Verlorenen Transports anhand zahlreicher Originaldokumente gezeigt –
auch dies ein Verdienst von Erika Arlt, dass sie diese vor dem
Untergang rettete – und anhand zahlreicher Photos, die sie selbst
aufgenommen und entwickelt hat.
Das Buch wurde, von Erika Arlt auf eigene Kosten kopiert,
von Hand zu Hand weitergereicht und ist nie veröffentlich worden –
vor allem wohl deshalb, weil die politische Einordnung und die
deutlich ablehnende Haltung zum westdeutschen Nachkriegsdeutschland
mit seinen Adepten des kalten Krieges nach der sogenannten Wende
nicht mehr zeitgemäß war. Zu viele Wendehälse und Wendeprofiteure
hätten sie mit ihrem Buch als Anhängerin eines untergegangenen,
delegitimierten Staates diffamiert, was ihrem Anliegen, das Andenken
an die Opfer des Verlorenen Transports zu wahren, dem ‚Niemals
Vergessen‘, abträglich gewesen wäre. Selbst als in den beiden
überarbeiteten Versionen (1997 und 2011) die 'politischen' Passagen
weggefallen waren, konnte sich Erika Arlt nicht zu einer
Veröffentlichung entschließen.
In ihrem Buch bleibt die
Autorin im Hintergrund, man versteht, dass es ihr ein persönliches
Anliegen war, die Allgemeinheit zu informieren, ebenso wie es ihr
wichtig war, mit zahlreichen Überlebenden einen ausführlichen, bis
kurz vor ihrem Tod fortgeführten Schriftwechsel zu unterhalten.